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VENTURE CAPITAL MAGAZIN

Vielfältige Finanzierungskultur für Start-up Szene

In vielen Übersichten über den europäischen Wagniskapitalmarkt wird Österreich nur unter der DACH-Region subsumiert. Doch das wird der Bedeutung und den Eigenheiten der österreichischen Start-up- und Investorenlandschaft des Landes nicht gerecht – ein tieferer Blick in den Markt lohnt sich.

Oliver Holle ist Gründer & Managing Partner bei Speedinvest in Wien. Mit insgesamt 86 Investments im Jahr 2020 ist Speedinvest laut der European Capital Map nach dem High-Tech Gründerfonds der aktivste Venture Capital-Fonds innerhalb der DACH-Region. „Wir haben eine Reihe von sehr erfolg reichen österreichischen Portfoliounternehmen, darunter Adverity, wikifolio und zerolens“, so Holle. Aktuell sorgt Bitpanda, die in Wien beheimatete Börse für Kryptowährungen, für Schlagzeilen. In der zweiten Finanzierungsrunde innerhalb eines halben Jahres, welche durch Peter Thiels Valar Ventures angeführt wurde, sammelte das Start-up 143 Mio. EUR ein und wurde mit einer Milliardenbewertung zum ersten österreichischen Unicorn. Alle Zeichen stehen auf Wachstum. Die Mitarbeiterzahl soll in den kommenden Monaten von 350 auf 600 steigen; neben den Kryptowährungen werden Kunden künftig auch Aktien handeln können.

Erfolgreiches Fundraising trotz Pandemie

Für den aktuellen, dritten Fonds – Speedinvest 3 – sammelten Holle und sein Team 195 Mio. EUR ein. „Grundsätzlich hat sich die Stimmung gegenüber VC stark ins Positive gedreht“, sagt Holle. „Noch vor wenigen Jahren gab es beim Fundraising stets grundsätzliche Bedenken, ob man in Europa mit dieser Assetklasse überhaupt Geld verdienen kann.“ Heute sehe die Welt anders aus: „Unsere Fonds performen sehr gut, Europa hat sich als VC-Hotspot etabliert und COVID hat das Thema Digitalisierung noch einmal signifikant beschleunigt.“ Dass sich die Anlageklasse großer Beliebtheit erfreut, beobachtet auch Philipp Thurn und Taxis, Gründer und CEO der Beteiligungsgesellschaft Constantia New Business (CNB) in Wien: „Trotz der Corona-Krise ist  nach wie vor viel Geld im Markt.“ Zum Portfolio von CNB zählen 13 Technologieunternehmen in der DACH-Region, darunter der Call-Center-Software-Anbieter virtualQ, der Entwickler von Engineering Deep Learning-Software Neural Concept sowie der weltweit tätige Anbieter von Video Streaming-Technologie Bitmovin, der im Januar in San Francisco den Emmy Award in der Kategorie Technology & Innovation gewann.

Stiftungen als wichtige Kapitalgeber

Eine Besonderheit der österreichischen Venture Capital-Szene sind die Kapitalgeber. „Neben den klassischen Venture Capital-Fonds spielen private Stiftungen eine bedeutende Rolle“, sagt Thurn und Taxis. Diese seien kapitalstark, doch stünden in aller Regel nicht im Licht der Öffentlichkeit. CNB selbst ist als Single LP-Fonds mit einer Evergreen-Struktur aufgestellt. Im Hintergrund steht eine österreichische Unternehmerfamilie. „Weil wir wissen, dass die Entwicklung von Technologieunternehmen länger dauern kann, sind auch wir als Investor sehr langfristig ausgerichtet“, so Thurn und Taxis.

Marktbereinigung durch Corona erwartet

Die Auswirkungen der Pandemie auf den Markt sind ambivalent. „Seit Februar 2020 sehen wir uns einer Situation ausgesetzt, die mit nichts vergleichbar ist und uns und unser Arbeits- und Privatleben nachhaltig verändern wird“, konstatiert Ralf Kunzmann, Geschäftsführer der aws Fondsmanagement GmbH und des aws Gründerfonds in Wien. „Dennoch ist es uns gelungen, im vergangenen Jahr 20 Investments und vier Exits erfolgreich abzuschließen.“ In Summe hat der aws Gründerfonds 2020 über 100 Mio. EUR in österreichische Technologieunternehmen investiert und konnte mit den Exits die Profitabilität des Fonds deutlich ausbauen. „2020 war paradoxerweise eines der bislang erfolgreichsten Jahre unserer Fondshistorie“, so Kunzmann

Neue Chancen durch Corona-Krise

Gerade im Wagniskapitalmarkt ergeben sich aus der gegenwärtigen Krise zahlreiche Chancen. „Sowohl Investoren als auch junge Technologieunternehmen haben sich rasch auf die veränderten Umfeldbedingungen eingestellt und die Digitalisierungsdynamik in nahezu alle Branchen verstärkt“, sagt Kunzmann. Gleichzeitig müssen viele Technologieunternehmen ihre Organisationen und Geschäftsmodelle umbauen. „Sie sind auf der Suche nach Kapital, das an sich vorhanden ist, von vielen Investoren aber zur Finanzierung ihres Bestandsportfolios zurückgehalten wird“, so Kunzmann. Darum rechnet er in den nächsten zwei Jahren mit einer Marktbereinigung, die sich auf Technologieunternehmen mit guten Leistungsdaten positiv auswirken werde. „Bei den guten Start-ups steigen die Bewertungen weiter, am unteren Ende dagegen wird es schwieriger“, sagt Thurn und Taxis – und auch Holle sieht diesen Trend: „Gefährlich ist, dass sich das Kapital zunehmend auf wenige Start-ups und wenige etablierte Venture Capital-Fonds konzentriert. Somit bekommen die Top 5% nahezu unbegrenzt Wachstumskapital, junge Gründungsteams ohne Track Record hingegen haben zunehmend Schwierigkeiten, ins Gespräch zu kommen.“ Das gelte sowohl für Start-ups als auch für Emerging Manager.

Tech-Szene nah an Industrie und Forschung

Wie in den meisten Ländern wurden besonders Entwicklungen in Healthtech durch COVID-19 massiv beschleunigt. „Das reicht von Ansätzen im Bereich Mental Health über die Behandlung chronischer Beschwerden bis zur digitalen Unterstützung in der Pharmaentwicklung“, so Holle. Erfreulich sei der Trend im Bereich Climatetech: „Insbesondere an der Schnittstelle zur Industrie und zur Mobilität gibt es viel Innovationspotenzial.“ Zudem sieht Holle eine große Welle an Grundlagentechnologien, um welche herum Start-ups gegründet werden: „In Deeptech-Themen wie AI, Quantum Computing und Security ist Europa sehr stark, und all diese Themen sind für uns hochspannend“, sagt Holle. Die Techszene in Österreich ist häufig angelagert an die Universitäten in Wien, Innsbruck, Linz, Graz und Klagenfurt sowie an
Exzellenz cluster im Industriebereich. Die Universität Innsbruck etwa verfügt über ein renommiertes Institut und ein wachsendes Ökosystem im Bereich der Quantenphysik; die Technische Universität Wien ist in der Medizintechnik weltweit führend und zudem stark im Bereich 3-D-Druck. „Österreich bietet eine breite, sehr gut ausgebildete Basis für Unternehmer und zunehmend auch für Serienunternehmer“, so Holle. Globale Champions könnten grundsätzlich in allen Bereichen entstehen.

Global Player unter dem Radar

Auch abseits der Venture-Szene bringt Österreich wachstumsstarke Global Player hervor, die mitunter eher unter dem Radar fliegen. Die 1998 gegründete TTTech zum Beispiel entwickelt Echtzeit-Netzwerkplattformen und Sicherheitssteuerungen für Industrie und Transport, welche unter anderem autonome Fahrzeuge ermöglichen. Heute beschäftigt TTTech weltweit 2.300 Mitarbeiter. Die 2005 in Linz gegründete Dynatrace wiederum entwickelt eine Software Intelligence Platform für Cloud Computing und ist mittlerweile an der NASDAQ gelistet.

Initiativen wollen Zahl der Ausgründungen vervielfachen

Künftig sollen die Ausgründungen aus Universitäten noch stärker forciert werden. Mit dem IST Cube, der auf eine Initiative des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) zurückgeht, steht dafür ein neues Förderinstrument bereit. An dem Fonds sind staatliche und private Investoren beteiligt, darunter der Versicherer VIG, die Beteiligungsgesellschaften Mitterbauer und Viveca und der Europäische Investitionsfonds (EIF). Sieben Start-ups mit Forschungshintergrund befinden sich im Portfolio, insgesamt stehen über 40 Mio. EUR für Venture-Finanzierungen bereit.

Ausblick

In die gleiche Kerbe schlagen die Unternehmer Hermann Hauser und Herbert Gartner mit ihrer Initiative „Spin-off Austria“, die im Herbst startete. Sie soll die Quote erfolgreicher Ausgründungen aus der Forschung noch deutlich erhöhen. Hauser ist unter anderem Mitgründer des Mikroprozessorherstellers ARM Limited und zahlreicher weiterer Unternehmen; Gartner ist ebenfalls Serien unternehmer und investiert mit seiner Firme eQventure in österreichische Tech-Start-ups. Neben Forschung und Lehre wollen sie das Unternehmertum als dritte Säule an Österreichs Universitäten und Fachhochschulen etablieren. Bis 2030 sollen dadurch bis zu 1.000 zusätzliche Start-ups entstehen. Damit dürfte Österreich als Standort für Gründer, wachstumsstarke Start-ups und Venture-Investments künftig noch interessanter werden.

Verfasser: Lukas Henseleit
 

aus Venture Capital Magazin, Ausgabe 3/2021